Napa Valley: Die turbulente Geschichte von Kaliforniens Prestige-Weinregion schlechthin

Napa Valley: Die turbulente Geschichte von Kaliforniens Prestige-Weinregion schlechthin

Es war einer der großen Paukenschläge der Weingeschichte, den Steven Spurrier 1976 mit seinem bis heute legendären Judgement of Paris auslöste. Eben jener Blindverkostung, bei der zwei Weine aus dem kalifornischen Napa Valley über die Konkurrenz von Weinen aus Bordeaux und Weinen aus Burgund triumphierten. Und zwar der 1973er Chardonnay von Chateau Montelena sowie der Cabernet Sauvignon 1973 von Stag’s Leap Wine Cellars. Letzterer hatte zwar nur 1,5 Punkte Vorsprung in der Kategorie Rotweine. Doch das reichte, um den Grand Vin aus dem Jahr 1970 von Château Mouton Rothschild auf den zweiten Platz zu verweisen. Und Chateau Montelena schlug den Meursault Charmes 1973 der Domaine Roulot sogar mit 5,5 Punkten!

Das war unerhört! Und eine waschechte Sensation. Die Folge: Die Weinwelt leckte sich die Finger nach den kalifornischen Gewächsen aus dem Napa Valley. Für viele fing die Weingeschichte dort dementsprechend erst an. Was natürlich ein großes Missverständnis ist. Oder eben Bullshit, wie die Amis so schön sagen. Denn Wein gibt es dort schon viel, viel länger als so mancher Weinkenner vermuten mag. Wagen wir einen Ausflug in die Geschichte.

Eine Weinreise von Virginia ins Napa Valley

Im Napa Valley gediehen nämlich schon Trauben, lange bevor sich dort die ersten Siedler niederließen. Wobei wir hier fair sein müssen. Tatsächlich waren diese wilden Trauben überall in Nordamerika weit verbreitet. Und es handelte sich dabei auch nicht um die Spezies vitis vinifera, zu der fast alle bekannten Rebsorten gehören, die wir inzwischen genießen, sondern um die beiden Spezies vitis labrusca und vitis rotundifolia. Und genau das ist der Knackpunkt. Beides sind zwar Weinreben, guter Wein ließ sich aus ihnen indes noch nie machen. Das musste selbst Thomas Jefferson, seines Zeichens der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, einsehen, als er, großer Weinliebhaber, der er nun einmal war, im frühen 19. Jahrhundert die beiden Spezies anpflanzte. Und grandios mit ihnen scheiterte, während er aus seinem Weingarten mit vitis-vinifera-Reben, die er von seinen Reisen aus Europa mitbrachte, recht köstlichen Wein kelterte.

Zugegeben, das war nicht im Napa Valley, sondern in Virginia. Aber es ist nun einmal das bekannteste Beispiel von einem Winzer, der an den Urtrauben Amerikas scheiterte. Und auch der beste Beweis, dass die Reben aus Europa auch in Nordamerika gute Qualitäten produzieren konnten. Womit wir jetzt endgültig im Napa Valley wären. Es ist erstaunlich, dass in diesem Teil Kaliforniens als letztes die Reben der Spezies vitis vinifera gepflanzt wurden. Obwohl … nein, ist es nicht. Denn das Gebiet, das wir heute als Napa Valley kennen, gehörte den amerikanischen Ureinwohnern, die das Areal "Land des Überflusses" nannten. Weil hier einfach alles problemlos gedieh. Während vor allem spanische Missionare die angrenzenden Regionen nach und nach erschlossen und für ihre Messweine die ersten Weinberge anlegten, war es der weiße Siedler George Yount, der von der Regierung Land im heutigen Napa Valley zugesprochen bekam – und der 1839 die ersten Reben in diesen äußerst fruchtbaren Boden setzte. Um welche Rebsorte es sich gehandelt hat? Das ist heute leider nicht mehr bekannt. Denn Younts Farm existiert schon lange nicht mehr. Und seinen Weinen hat er eh nie kommerziell verkauft, sondern nur für den Eigenbedarf gekeltert. Wie eben alle anderen Siedler auch, die sich aufgrund des fruchtbaren Bodens recht schnell in der Gegend niederließen. Unter ihnen: John Patchett und Hamilton Walker Crabb. Auch sie experimentierten mit europäischen Weinreben auf amerikanischen Boden.

Napa Valley wird Weinland

Oft wird dem deutschen Immigranten Charles Krug nachgesagt, das erste kommerzielle Weingut in Napa Valley gegründet zu haben. Und zwar im Jahr 1861. Tatsächlich existierte damals aber das Weingut des Engländers John Patchett bereits seit zwei Jahren. Patchett mag der Erste gewesen - doch Krug war der Erfolgreichste. Ihm ist es zu verdanken, dass sich auch andere Siedler mit dem kommerziellen Anbau von Wein beschäftigten. So wurde 1862 etwa das Weingut Schramsberg gegründet. Und mit den Beringer-Brüdern Jacob und Frederick entstand 1876 ein Weingut, dass bis heute zu den großen Napa-Ikonen gehört. Übrigens ebenso wie Inglenook, welches der finnische Kapitän Gustave Niebaum im Jahr 1879 gründete.

Diese erste Welle der Wein-Pioniere sorgte mit den Qualitäten, die sie verkauften, schnell für ein gewisses Renommee - und für ein gehöriges Wachstum der Weinwirtschaft im Napa Valley. Während in Europa die Reblaus Hektar um Hektar Rebfläche zerstörte, setzte im Napa Valley so etwas wie ein vinophiler Goldrausch ein. Immigranten und reiche Geschäftsleute aus dem nahegelegenen San Francisco waren fest davon überzeugt, dass nur kalifornischer Wein bald die durstigen Bedürfnisse Europas befriedigen könne. Immer mehr Weingüter schossen aus dem Boden. 1880 gab es in Napa Valley gerade einmal 49 Betriebe - 1886 waren es bereits 175!

Kalifornien erstmals zu Gast in Frankreich

Kalifornien erstmals zu Gast in Frankreich

Und dann der Coup: 1889 luden die Franzosen kalifornische Winzer zur Weltausstellung nach Paris ein, damit sie dort ihre Weine präsentieren konnten. Allen voran: die Gewächse aus Napa Valley. Gut, überraschend war die Einladung nicht. Die Franzosen selbst hatten aufgrund der Reblauskatastrophe kaum noch eigene Weine mit guter Qualität. Die Napa-Winzer indes schon. Die eigentliche Überraschung war, dass ihre Gewächse von den Gästen der Weltausstellung nicht nur sehr gelobt wurden, sondern dass sie bei dem traditionellen Wettbewerb mit französischen Weinen eine Prämierung nach der anderen einheimsten.

Spätestens da hätte man ahnen können, dass die Weine aus dem Napa Valley mächtig was auf dem Kasten haben. Doch bevor Kalifornien als neuer Genussstern am Himmel der Weinwelt aufgehen konnte, machten Naturkatastrophen und von Menschen gemachte Desaster dem nahenden Weintriumph ein jähes Ende.

Eine Katastrophe jagt die nächste

Zuerst plagten Ende des 19. Jahrhunderts schwere Fröste das Napa Valley. Viele Rebstöcke erfroren. Als wäre das nicht schlimm genug, fiel die Reblaus nun auch über die kalifornischen Weingärten her. Und dann gingen während der ersten Depression im Jahr 1893 auch noch viele Weingüter bankrott, weil sich kein Mensch mehr den Genuss von Wein leisten konnte. Und dann wurde am 18. April 1906 San Francisco auch noch von dem bis heute berüchtigten und katastrophalen Erdbeben heimgesucht, das selbst im knapp 100 Kilometer entfernten Napa Valley enorme Schäden anrichtete. In ganz Kalifornien gingen aufgrund dieses Erdbebens über 11 Millionen Liter Wein in den Lagern verloren!

Schlag folgte auf Schlag. Die kalifornische Weinwirtschaft kam einfach auf keinen grünen Zweig. Und dann führte man in den Vereinigten Staaten 1920 auch noch die Prohibition ein! Knapp 14 Jahre lang kam der kommerzielle Weinbau fast komplett zum Erliegen. Nur hier und dort durfte noch Messwein gekeltert werden. Dafür pflanzten immer mehr Familien Rebstöcke für den Eigenbedarf - und nutzten so geschickt eine Gesetzeslücke. Und die Weingüter? Nun, die funktionierten die Inhaber oft zu Farmen um. Rebstöcke riss man heraus, um zum Beispiel Pflaumen-, Kirsch- oder Walnussbäume zu pflanzen. Die Zahl der Weingüter schrumpfte kontinuierlich. Als die Prohibition am 5. Dezember 1933 endlich endete existierte nur noch ein Bruchteil der Betriebe.

Napa Valley: der Fall und Aufstieg einer kalifornischen Weinregion

Aber es kam noch schlimmer. Denn in den knapp 14 Jahren Prohibition hatte sich der Weingeschmack der Amerikaner geändert. Sie bevorzugten jetzt entweder schlichte (und möglichst günstige) Tafelweine sowie gespritete Weine im Stil von Port und Sherry oder richtig süße Weine. 1935 waren sagen und schreibe 81 Prozent aller Weine aus Kalifornien süß! Dieser neue Geschmackstrend machte aus dem Napa Valley eine Randerscheinung. Die meisten Weingüter zogen ins Central Valley um, wo es heißer war - und wo man solche Weine einfach besser produzieren konnte. Da nützte es auch nichts, dass John Daniel Jr. Inglenook wieder aufleben ließ, Georges de Latour das später berühmte Beaulieu Vineyard gründete oder die Mondavi-Familie die Charles Krug Winery kaufte. Napa Valley kam in den Weingläsern der Amerikaner so gut wie nicht mehr vor. Tragisch!

Doch Ende der 1930er-Jahre nahte die Rettung aus gleich mehreren Richtungen. Zum einen führten die beiden Professoren Albert J. Winkler und Maynard Amerine von der University of California in Davis in ganz Kalifornien Boden- und Klimauntersuchungen durch, um herauszufinden, welche Region sich für welche Rebsorte am besten eignete. 1944 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse. Sie kamen zu dem Schluss, dass das Napa Valley klimatisch dem Bordeaux ähnelt. Dementsprechend empfahlen sie für diese Gegend Cabernet Sauvignon. Die kühleren Lagen in Napa Valley seien ihrer Meinung nach zudem auch für Chardonnay geeignet. Damit legten sie den Grundstein für die beiden Trauben, die dann im Jahr 1976 beim Judgement of Paris für Furore sorgen sollten.

André Tchelistcheff und das Napa Valley

Was uns zur zweiten Napa-Rettung bringt. Denn als die Prohibition kam, gingen die guten Önologen. Wer konnte es ihnen verdenken? In diesem Bereich nahte die Rettung im Jahr 1937 in Fleisch gewordener Form. Denn damals kam der russische Önologe André Tchelistcheff, der zuvor in Frankreich arbeitete, ins Napa Valley und heuerte bei Georges de Latour und seinem Weingut Beaulieu Vineyard an, wo er 35 Jahre lang als Kellermeister arbeiten sollte - und viele spätere Winzer-Legenden ausbildete oder final formte. Wie zum Beispiel Joe Heitz, der dann 1961 mit seiner Frau Alice sein eigenes Weingut gründen sollte. Und auch Miljenko "Mike" Grgich, dem späteren Kellermeister von Chateau Montelena, nahm Tchelistcheff kurz unter seine Fittiche. Zudem beriet er den kalifornischen Weinbaupionier Agoston Haraszthy, der mit seiner Buena Vista Winery Geschichte schrieb. Und auch für den damaligen Jungunternehmer Robert Mondavi war Tchelistcheff beratend tätig.

Bis heute gilt André Tchelistcheff als Jahrhundert-Önologe, der den Qualitätsweinbau zurück ins Napa Valley brachte. Ihm und seinem Ruf war es zu verdanken, dass sich in den 1960er-Jahren immer mehr talentierte Weinmacher in Napa Valley niederließen. In dieser Nachkriegszeit passierte aber noch etwas anderes. Denn der Geschmack der Amerikaner änderte sich erneut. Durch den entstehenden Wohlstand und den günstiger werdenden Flugreisen waren Europareisen nicht mehr nur den Eliten vorbehalten, sondern auch für das Bildungsbürgertum machbar. Auf diesen Reisen lernte diese Gesellschaftsschicht auch die Weine der Alten Welt kennen – und lieben. Mit den neuen Geschmackseindrücken kamen sie nach Hause und wollten auch in ihrer Heimat genau solche Weine genießen. Trockene und elegante Weine? Das konnte das Napa Valley! Der neue Höhenflug begann!

Eine weitere Önologie-Legende kommt an

Eine weitere Önologie-Legende kommt an

Von der durch André Tchelistcheff ausgelösten Weinbau-Renaissance wurde ein weiterer Mann angezogen, der später zur Legende werden sollte. Warren Winiarski. Der junge Mann mit polnischen Wurzeln kam 1964 im Napa Valley an. Dort überzeugte er Lee Stewart, ihn als Lehrling auf seinem Weingut Stewart's Souverain Cellars anzunehmen. 1966 heuerte Winiarski bei Robert Mondavi als Assistant Winemaker an, wo er auch André Tchelistcheff kennenlernte, der sein Mentor wurde. 1970 kaufte Winiarski dann die ersten Hektar für sein eigenes Weingut. Stag's Leap Wine Cellars. Womit sich der Kreis zum berühmten Judgement of Paris jetzt endgültig schließt.

In gewisser Weise war diese Blindverkostung in Paris, die man - in einer sehr frei interpretierten Version in dem Film "Bottle Shock" ansehen oder aber in einer historisch sehr korrekten Variante in dem Buch "Judgment of Paris" von George M. Taber nachlesen kann, dann aber tatsächlich so etwas wie die Geburtsstunde des Napa-Weins. Denn erst seit diesem Ereignis im Jahr 1976 sind die Gewächse aus Napa Valley auch international anerkannt. Vorher hatte die Weinwelt sie einfach nicht auf dem Schirm. Herzlichen Dank, Steven Spurrier!

Seitdem ist das Napa Valley in den Gläsern von Weinkennern rund um den Globus heiß begehrt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass von dort inzwischen echte Ikonen kommen. Sei es nun der Opus One von Robert Mondavi und Baron Philippe de Rothschild, "La Muse" von Pierre Seillans Vérité Winery, die Gewächse von Harlan Estate, Bryant, Shafer, Futo, Streaming Eagle oder Bond und Promontory. Die Liste der Wein-Ikonen ließe sich hier fast endlos fortführen. Tatsächlich ist die Liste der großen Wein-Namen hier sogar länger als die des Bordeaux! Ein Blick gen Napa Valley lohnt sich also. Und zwar mehr als einmal!

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