Spätlase Weinen: Die Legende vom Spätlesereiter

Spätlase Weinen: Die Legende vom Spätlesereiter

Es ist ja nicht so, als hätte man in Deutschland die restsüßen Rieslinge, für die das Land so bekannt ist, ganz bewusst erfunden. Die sogenannten Prädikatsweine, die sich nicht über ihre Herkunft, sondern über das Mostgewicht der Trauben vor der Lese definieren, sind tatsächlich ein Zufallsprodukt. Zumindest eine Prädikatsstufe. Nämlich die Spätlese. Um deren Entdeckung rankt sich eine zauberhafte Legende, die sich im Jahr 1775 im Schloss Johannisberg im Rheingau abgespielt haben soll. Hier finden wir die Wiege der Spätlese. Aber für die Geschichte müssen wir tatsächlich ein wenig früher ansetzen. Deswegen reisen wir mal ins Jahr 1716.

Damals war Riesling in Deutschland noch längst nicht so bekannt und etabliert wie heute. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten Weingärten nicht nur mit einer einzigen, sondern mit ganz vielen unterschiedlichen Rebsorten bestockt waren, die kreuz und quer durcheinander im sogenannten gemischten Satz gediehen. Das war auch auf Schloss Johannisberg der Fall, als es 1716 samt seiner Rebflächen vom Hochstift Fulda gekauft wurde, um daraus ein Kloster für Benediktinermönche zu machen.

Schloss Johannisberg: Keine Lese ohne Erlaubnis

Diesen Mönchen stand der Fürstabt Constantin von Buttlar vor. Der Fürstabt lebte aber nicht auf Schloss Johannisberg, sondern eben im Hochstift Fulda, das 150 Kilometer entfernt liegt. Aus der Ferne lenkte er die Geschicke von Schloss Johannisberg. 1720 gab er den Mönchen einen sehr ungewöhnlichen Auftrag. Er ließ alle Reben herausreißen und den Weinberg neu bepflanzen. Und zwar ausschließlich mit Riesling. Das war damals eine echte Sensation, die in der Gegend für mächtig viel Aufregung sorgte. Nur eine einzige Rebsorte? Unmöglich! Und dann auch noch eine, die damals sehr unzuverlässig ausreifte? Was für eine Dummheit!

Doch die Qualitäten, die die Benediktiner aus dem Weinberg herausholten, ließen Klatsch und Tratsch schnell verstummen. Der Riesling von Schloss Johannisberg war schnell in aller Munde. Was kaum jemand mitbekam: Die Lese war für die Mönche jedes Jahr wieder eine echte Zitterpartie. Sie durften nicht einfach mit der Ernte beginnen, wenn der ihrer Meinung nach richtige Zeitpunkt gekommen war, sondern mussten dafür jedes Mal die Erlaubnis des Fürstabts einholen. Und der residierte ja in der 150 Kilometer entfernten Stadt Fulda.

Spätlesereiter: Eine Legende ward geboren

Heute braucht man für diese Strecke nur zwei bis zweieinhalb Stunden - je nach Verkehrslage. Im 18. Jahrhundert dauerte es aber ein paar Tage. Das Prozedere war Jahr für Jahr identisch: Wenn der Zeitpunkt der Lese nahte, schickte der Kellermeister einen berittenen Boten mit ein paar Trauben nach Fulda zum Fürstabt. Dieser probierte die Trauben der Form halber und schickte dann den Boten mit der Ernte-Erlaubnis zurück nach Schloss Johannisberg, damit die Benediktiner mit der Lese beginnen konnten.

Womit wir jetzt endlich im Legendenjahr 1775 wären. Damals erfreute man sich auf Schloss Johannisberg an der tollen Traubenqualität. Das Weinbaujahr war ideal verlaufen, die Trauben kerngesund und von sehr hoher Qualität. Als die Trauben fast die ideale Reife erreicht hatten, schickte der Kellermeister also einen Reiter gen Fulda, um die Lese-Erlaubnis zu erhalten. Doch der Reiter kam und kam einfach nicht zurück. Ohne Erlaubnis trauten sich die Mönche aber nicht, mit der Ernte zu beginnen. Während um sie herum alle Weinbauern ihre Trauben bei bester Herbstsonne in den Keller brachten, mussten die Benediktiner mitansehen, wie die perfekten Weintrauben immer reifer wurden und dann am Stock sogar verschrumpelten und teilweise sogar verfaulten.

Endlich! Der Spätlesereiter kommt!

Wie viel später der Reiter mit der Lese-Erlaubnis schließlich auf Schloss Johannisberg ankam, ist historisch nicht ganz gesichert. Von zwei bis vier Wochen ist in den unterschiedlichen Legenden alles dabei. Auch ist nicht geklärt, warum er sich derart verspätete. In der einen Geschichte wurde er überfallen und überlebte nur mit knapper Not. In einer anderen Geschichte hatte er ein längeres Stelldichein mit einem Mädchen. Und dann wieder vergaß er in einer anderen Legende die Zeit, weil er in einem Wirtshaus versackte. Fest steht nur, dass er irgendwann die Erlaubnis überbrachte. Die Mönche hatten zu diesem Zeitpunkt die Ernte schon abgeschrieben. Aus solch eingetrockneten und verschimmelten Trauben konnte man einfach keinen guten Wein mehr machen.

Um aber überhaupt Wein zu haben, lasen sie die Trauben trotzdem und kelterten sie. Als sie den fertigen jungen Wein dann das erste Mal probierten, kamen sie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Dieser Riesling schmeckte viel, viel besser als alle anderen Weine, die jemals in diesem Keller entstanden waren! Er war so konzentriert und süß! Und dann erst die Aromen! Honig fand sich darin, aber auch kandierte Früchte. Was für herrlicher Wein!

Das Geheimnis hinter der Spätlese

Was die Mönche damals freilich nicht wussten: Die Rieslingtrauben waren nicht verschimmelt, sondern von Edelfäule, also Botrytis cinerea befallen. Wenn das Wetter ein paar Wochen vor der Lese recht kalt und verregnet ist, dann sorgt dieser Pilz tatsächlich dafür, dass die einzelnen Weinbeeren verschimmeln. Ist es aber noch warm und scheint ab dem Mittag die Herbstsonne, die dann den feuchten Morgennebel vom Rhein vertreibt, dann bildet sich kein Schimmel, sondern eben Edelfäule. Der Pilz durchbricht dann die Beerenschale, um seine Enzyme einzuimpfen.

Und genau die sorgen für diese delikaten Noten, die heute noch ein großes Charakteristikum für die Spätlese ist, der Süsswein. So wurde durch Zufall die Spätlese entdeckt, die bis heute eine Qualitätsstufe bei den deutschen Prädikatsweinen fur Weinen in Deutschland ist. Der verspätete Bote bekam indes den Namen Spätlesereiter verpasst - und wurde zur Legende. Ihm ist es zu verdanken, dass es die Spätlese überhaupt gibt. Um diesen Umstand zu ehren, steht bis heute im Hof von Schloss Johannisberg eine Statue des Spätlesereiters. Seit 2021 findet man zudem ein Spätlesereiter-Standbild im Hof des Stadtschlosses in Fulda. Und dann gibt es da noch den ersten Band der Comic-Serie “Karl” von Michael Apitz und Eberhard und Patrick Kunkel. Das Trio bereitet hier die Geschichte noch einmal entzückend auf. Der Spätlesereiter inspiriert also auch noch heute. Die Riesling Spätlese von Schloss Johannisberg hat derweil in der deutschen Weinwelt – und weit darüber hinaus – einen absoluten Kultstatus. Vollkommen zu Recht, wie wir finden.

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